Schwindeltherapie Heidelberg

Schwindeltherapie

Schwindel! Was tun wenn sich die Umwelt dreht?

Schwindel als immer größer werdendes Problem durch die demographische Entwicklung und somit immer älter werdenden Patient*innen ist in den letzten Jahren ein Fachbereich geworden. Die Häufigkeit des Schwindels steigt mit dem Alter, Schwindelpatienten sind zu 80% über 65 Jahre alt. Im Englischen gibt es zwei Begriffe hierfür: Dizziness und Vertigo und ist damit auch ein Hinweis auf unterschiedliche Arten/Formen/Ursachen. Schwindel ist nicht nur vestibulär bedingt – diese Form betrifft meist jüngere Patient*innen. Es gibt weitaus mehr Ursachen und sich daraus erschließende adäquate Behandlungsansätze als Umlagerungsübungen. Physiotherapeutische Hilfe bei dieser Diagnose wird immer bekannter, denn man traut sich darüber zu sprechen!

Nur wie wird die spezielle Ursache klar und wie findet man die richtige Therapie heraus? Es gilt wie immer, in der physiotherapeutischen Befundaufnahme eine Strategie zu entwickeln und somit den Behandlungsansatz herauszukristallisieren.

Denn Schwindel ist das Ergebnis unterschiedlicher Rückmeldungen von Sinneseindrücken an das Gehirn aus dem vestibulären, dem visuellen und dem propriozeptiven/somatosensorischen System (Haut, Muskulatur, Gelenke) des Körpers. Wo die Störung liegt, die oftmals multifunktional ist, gilt es zu befunden und dann Übungen herauszusuchen, die gezielt diesem Patienten helfen.

Viele Menschen klagen über Schwindel im Alltag (ca. 30 % der über 65jährigen). Es ist nicht nur eine gesundheitliche Störung im Alter. Er wird von Patient*innen als Wahrnehmung einer nicht vorhandenen Bewegung bzw. einer Störung der Orientierung des Körpers im Raum und zur Umwelt beschrieben. Er behindert im Alltag ebenso wie bei außerhäuslichen Aktivitäten welches auf Dauer die sozialen Kontakte gefährdet. Doch wo liegt die Ursache? Diese gestaltet sich sehr vielfältig. Der erste Gang des Patienten ist meist zum Hausarzt, dieser entscheidet ob eine medikamentöse Therapie sinnvoll und erfolgversprechend ist und/oder ob eine physiotherapeutische Intervention angezeigt ist. Bei ungeklärter Ursache ist eine Überweisung zum HNO-Arzt oder dem Neurologen sinnvoll zur differenzialdiagnostischen Abklärung.

Die Ursachen für Schwindel können von drei grob abzugrenzenden Systemen ausgehen: Visus = dem Auge, Vestibulär = dem Ohr, der Propriozeption = der Körperwahrnehmung der Haltung an sich oder in Bezug zum Umfeld. Aus diesen Systemen bezieht der Körper seine Informationen, um eine adäquate Anpassung der Bewegung des Körpers zu gestalten mit dem Ziel sein Gleichgewicht zu halten. Gibt es hier unstimmige Informationen an das zentrale Nervensystem (Gehirn) gibt es einen „Datenkonflikt“ und es schwindelt! Die Anamnese des Patient*in und spezielle Tests geben Auskunft über die Einschränkungen, Art und den Grad des Schwindels.

Der „Sensory Organisation Test“ = SOT testet die drei informationsgebenden Systeme (Visus, Vestibulär und Propriozeption) in sechs verschiedenen Positionen mit intersensorischen Bedingungen.

Die “Berg-Balance-Scale“ = BBS  testet  verschiedene alltagsrelevante Situationen wie z.B. Aufstehen vom Stuhl, Gegenstand vom Boden aufheben oder den Einbeinstand.

Der “Dynamic Gate Index“ (DG) testet Situationen im Gehen wie z.B. mit Kopfdrehen, Drehung um 180° oder Treppe steigen.

Ein Schwindel, der vom Ohr her rührt – wo das Gleichgewichtsorgan sitzt-  ist meist plötzlich auftretend mit starkem Drehschwindel und Fallneigung und in der Symptomatik recht eindeutig. Als Komplikation eines durchgemachten grippalen Infektes, einer Mittelohrentzündung, einer Durchblutungsstörung oder durch eine metabolische Ursache ist er medikamentös gut behandelbar. Tritt gleichzeitig ein Hörverlust oder ein Tinnitus (pfeifendes Ohrgeräusch) auf ist eine Resorptions- und Produktionsstörung der Endolymphe (des Wassers im Innenohr, dass das Gleichgewichtsorgan umspült) als Ursache zu sehen. Eine Störung im Innenohr wobei sich sogenannte Otholithen-Partikel von der obersten Gewebeschicht ablösen, im Innenohr „herumschwimmen“ und sich in die Bogengänge (meist in den hinteren) „verirren“ benötigt nicht nur eine medikamentöse Behandlung, sondern gezielte physiotherapeutische Intervention.

Bei zeitnahen Umlagerungsmanövern kann der Spuk bald vorbei sein. Der erste aussagekräftige Test ist das „Dix-Hallpike-Manöver“, eine Lagerungsprüfung in Kopfhängelage, die den klassischen Nystagmus (Drehen der Pupillen im Crescendo-Decrescendo-Charakter) auslöst. Die adäquate Behandlung ist dann das „ Epley-Manöver“ oder das „Semont-Manöver“, diese lösen die bisher bekannten „Umlagerungsübungen nach Brandes“  ab, da sie gezielter agieren, was allerdings dann auch schwerer für den Patienten zu erlernen ist und auf jeden Fall erstmal mit einem spezialisierten Physiotherapeuten durchgeführt werden soll. Aber diese neue Form der Umlagerungen ist vielversprechender! Wenn alles gut verläuft kann der Schwindel mit 2-3 Manövern vorbei sein. Wenn dann das spezifische Gewicht der Endolymphe sich normalisiert und die Partikel an ihrer angestammten Position bleiben ist eine Wiederholung unwahrscheinlich. Alle anderen bestehen bleibenden Schwindelformen können mit spezifischen Übungen zur Schulung des Systems behandelt werden. Hier sind Übungen im Stehen, Sitz auf dem Pezziball, Kippbrett, dem Posturomed, dem Gallileo, dem Laufband und dem Trampolin sinnvoll, um das Innenohr in horizontaler oder vertikaler Ebene zu trainieren.

Falls der „Sensory Organisation Test“ als Ursache des Schwindels am ehesten das Auge herausfiltert sind Störungen zweier spezieller Reflexe des Auges, deren Verbindungen zu den Neuronenkernen und die Antwort der Augenmuskeln als Ursache zu sehen. Der Vestibulookuläre Reflex =VOR ermöglicht eine stabile visuelle Wahrnehmung auch bei plötzlicher Kopfbewegung z.B. beim Balancieren. Der Optokinetische Reflex =OKR  liefert Informationen zur Orientierung im Raum und liefert scharfe Bilder wenn sich die Umwelt bewegt z.B. beim Zugfahren. Als sicherer Hinweis auf Störungen in diesem Bereich gilt wenn der Schwindel sich beim Schließen der Augen bessert. Als physiotherapeutische Intervention kann man das Auge mit einer „Blickfeldstabilisation“ trainieren. Je nach Einschränkung des Patient*in fängt man bei starkem Schwindel in Rückenlage an, bei Verbesserung der Beschwerden im Sitz, macht später im Stand und in der Fortbewegung weitere Übungen und stellt dem Patienten Aufgaben zur Bewegung im Raum mit der Fixation bestimmter Gegenstände.

Ergibt der SOT am ehesten eine Störung der Propriozeption also der Wahrnehmung des Körpers über Rezeptoren in der Haut, der Muskeln und Gelenke (Tiefen- und Oberflächensensibilität) und deren Verarbeitung im ZNS können wir zwei Ursachen grob unterscheiden:

– eine zentral liegende Störung im Zentralen Nervensystem, dem Kleinhirn oder den Neuronenkernen im Hirnstamm wie bei neurologischen Erkrankungen z.B. einem Schlaganfall, Morbus Parkinson  oder einem Tumor

– eine periphere Störung wie ein HWS-oder BWS-Syndrom, welche klassisch unter manual-therapeutischen Gesichtspunkten behandelbar sind: Beseitigung muskulärer Verspannungen und segmentaler Blockierungen, wobei besonders auf C0/C1 (ein blockierter Atlas), C2 (ein hypermobiler Axis), den CTÜ (Cervicothorakaler Übergang) oder eine verspannte BWS-Muskulatur mit begleitenden Blockierungen zu achten ist

– eine weitere periphere Ursache bei einer Polyneuropathie (Sensibilitätsstörungen in den Füßen durch nicht medikamentierten Diabetes, Nervenschädigung bei Rückenproblemen oder Alkoholabusus) kann durch ein spezifisches Sensibilitäts- und Gleichgewichtstraining verbessert werden

Bei all diesen Schwindelformen, die nicht plötzlich auftreten sondern sich als mäßiger Dauerschwindel entwickeln, unspezifisch und nicht richtungsgenau sind, ist ein für den Patient*in zurechtgeschnittenes Training auf Dauer hilfreich. Hier gilt es mit Hilfe der Angaben des Patient*in die für ihn geeigneten Übungen zu konstruieren nach Kriterien wie:

– Haltungs- und Bewegungsrichtungen, die den Schwindel bis zu 5 sec. auslösen

– Wiederholungs- und Serienzahl festlegen (z.B. 10x jede Übung wiederholen, 3x am Tag üben)

– Schwindel-Zeit messen, Pausenzeit festlegen, alles dokumentieren.

Je nach Grad der Betroffenheit können diese Übungen im Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen und während alltagsrelevanten Bewegen angesiedelt sein. Die unzähligen Möglichkeiten in Übungen zu fassen erfordert die richtige Einschätzung des Problems durch den Therapeut*in, die richtige Übungsauswahl und die Mitarbeit des Patient*in. Wenn dieser merkt, dass ihm die Übungen wieder mehr Sicherheit im Alltag geben, der Schwindel nachlässt und er besser damit umgehen kann ist diese Mitarbeit sicher erreicht.